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„Jeder schreibt für sich allein“

Ana­tol Reg­nier liefert die Innenan­sicht eines Kul­turbe­triebes in der dunkel­sten Epoche der deutschen Geschichte. Ralf Richter hat sie gele­sen

Der Buchti­tel des Autors Ana­tol Reg­nier – bekan­nt auch als Gitar­rist und Chan­son­sänger — lässt sofort und dur­chaus beab­sichtigt an das Fal­la­da-Buch „Jed­er stirbt für sich allein“ denken. Es trägt denn auch den Unter­ti­tel: „Schrift­steller im Nation­al­sozial­is­mus“. Wohlge­merkt: Schrift­steller „im Nation­al­sozial­is­mus“, nicht „des Nation­al­sozial­is­mus“. Wäre der Autor ost­sozial­isiert, hätte er nicht diesen Unter­ti­tel gewählt, son­dern es hätte dann vielle­icht geheißen: „Schrift­steller im Faschis­mus“. In diesem Fall aber hätte es nicht aus­gere­icht, über die Schrift­stel­lerin­nen und Schrift­steller auf deutschem Boden zu schreiben, son­dern man hätte min­destens Spanien und Ital­ien ein­beziehen müssen. Der „Nation­al­sozial­is­mus“ ist eine Selb­st­beschrei­bung ein­er faschis­tis­chen Strö­mung, in der es nie um den „Sozial­is­mus“ ging, wie er von seinen Grün­dervätern ver­focht­en wurde. Insofern han­delt es sich um eine Aneig­nung des Begriffes und es muss befrem­den, mit welch­er Selb­stver­ständlichkeit west­deutsch geprägte Autoren diesen Begriff nach wie vor unre­flek­tiert benutzen.

Spätestens 1933 – viele hat­ten sich aber längst in den 20er Jahren posi­tion­iert – musste ein kün­st­lerisch-schrift­stel­lerisch tätiger Men­sch Front beziehen. Was war man? Kom­mu­nis­tisch, sozialdemokratisch, lib­er­al, nation­al, kon­ser­v­a­tiv, „unpoli­tisch“? Wo stand man, welchen Ruf hat­te man sich erwor­ben? Exem­plar­isch ste­ht dafür Hans Fal­la­da, der Autor der kleinen Leute – ein ziem­lich unpoli­tis­ch­er, von den Massen gern gele­sen und bis heute sehr geschätzt. Die Stadt Neumün­ster inmit­ten von Schleswig-Hol­stein, wo er unter anderem im Gefäng­nis gesessen hat­te (lange bevor der kata­lanis­che Regierungschef Car­les Puigde­mont das dor­tige Gefäng­nis europaweit berühmt machte), aber auch jour­nal­is­tisch tätig gewe­sen war, ver­lei­ht regelmäßig den Hans-Fal­la­da-Preis. Fal­la­da passte mit seinen The­men dur­chaus zu den Nazis, die ja als Partei der kleinen Leute auf­trat­en und somit auch Fal­la­da umgar­nten.

Während andere Schrift­steller wie Hein­rich oder Klaus Mann von Anfang an wussten, dass sie auf der Abschus­sliste der Nazis standen, war das bei zahlre­ichen anderen Schrift­stel­lerin­nen und Schrift­stellern nicht der Fall. Die meis­ten Autorin­nen und Autoren sym­pa­thisierten wed­er mit den Kom­mu­nis­ten noch mit den Nazis. Wer sich genötigt sah, ins Exil zu gehen, der musste das nicht zwin­gend wegen sein­er klaren und ein­deuti­gen poli­tis­chen Hal­tung – es reichte ja schon, jüdis­chen Glaubens zu sein. Somit gab es zwar eine große Anzahl von Schreiberin­nen und Schreibern, die ins Exil gin­gen, aber noch mehr blieben hier – einige dur­chaus mit dem fes­ten Willen, dem neuen Regime zu dienen, und andere in dem Glauben, die Zeit schon irgend­wie gut zu über­ste­hen. Inner­halb dieser zwölf Jahre gab es auch bei nicht weni­gen einen Wech­sel der Mei­n­un­gen und Ansicht­en zum herrschen­den Regime und auch zu den Gegan­genen. Man kan­nte und beobachtete sich – es gab ja auch Fre­und­schaften. Neben Hans Fal­la­da gehören zu den heute bekan­nten Namen auch Erich Käst­ner, Ehm Welk oder Got­tfried Benn. Let­zter­er las die Exilzeitschriften und lieferte sich mit Klaus Mann – der Got­tfried Benn sehr schätzte – einen intellek­tuellen Schlagab­tausch, in dem er eine Lanze für die in Deutsch­land verbliebe­nen Autoren brach.

Kul­tur­poli­tik und ger­ade die Schrift­stellerei waren im Drit­ten Reich alles andere als Stiefkinder. Die neue Machthaber waren sich dur­chaus bewusst – und das nicht nur im Pro­pa­gan­damin­is­teri­um –, dass man mit Büch­ern und Lit­er­atur die Massen bee­in­flussen kon­nte. Demzu­folge gab es auch eine sehr gezielte „Kul­tur­förderung“ – selb­st ein in Ung­nade gefal­l­en­er Erich Käst­ner wurde da noch gebraucht und schrieb freilich nicht unter seinem Namen das Drehbuch zum teuer­sten Film im Drit­ten Reich, „Münch­hausen“. Er ver­di­ente dabei so viel Geld, dass er noch 1944 Häuser bei Berlin kaufte, was ihn aber nicht davon abhielt, nach 1945 zu behaupten, er sei in der Zeit des Faschis­mus im „inneren Exil“ gewe­sen. Das stimmte nur teil­weise, doch nach 1945 strick­te man neue Leg­en­den.

Auch Hans Fal­la­da hat­te nicht schlecht im Drit­ten Reich gelebt und war sog­ar auf Aus­land­sreisen geschickt wor­den, teil­weise hat­te er sich sehr regime­treu geäußert und es darf nun gerät­selt wer­den, ob das tiefer inner­er Überzeu­gung entsprang, ein zwis­chen­zeitlich­er Abweg war oder aus Selb­stschutz geschah. Andere Autoren hat­ten sich laut­stark lob­hudel­nd und ohne Not zu Hitlers fün­fzig­stem Geburt­stag in Szene geset­zt. Nicht so Fal­la­da. Es war der berühmte DDR-Kul­tur­min­is­ter Johannes R. Bech­er, der ihm nach 1945 lit­er­arischen Stoff von einem unpoli­tis­chen Berlin­er Ehep­aar besorgte, das nach dem „Helden­tod“ des Sohnes wider­ständ­lerisch gewor­den war und ihn bat, daraus einen Roman zu machen. So ent­stand sein berühmtes Buch „Jed­er stirbt für sich allein“. Andere Schrift­steller wie Got­tfried Benn set­zten naht­los ihre Kar­riere im West­en fort, ohne sich kri­tisch mit dem Faschis­mus und ihrer Rolle, die sie in dieser Zeit gespielt hat­ten, auseinan­der zu set­zen. Exilschrift­steller blieben entwed­er im Exil oder kamen über­wiegend in die DDR, wo sie eine führende Rolle ein­nah­men. Im west­deutschen Schrift­steller­be­trieb blieben die „Dage­bliebe­nen“ tonangebend und es gab dort eine starke Abwehrhal­tung gegenüber den Exil-Schrift­stellern. Hier liegt der Stoff für ein weit­eres Buch.

Reg­niers Buch liefert die Innenan­sicht eines Kul­turbe­triebes in der dunkel­sten Epoche deutsch­er Geschichte, wie man sie bish­er noch nicht lesen kon­nte. Man erfährt, wie die Auseinan­der­set­zun­gen in den Organ­i­sa­tio­nen der Schrift­steller liefen, aber auch, dass es kein klares Schwarz-Weiß – hier die Antifaschis­ten und dort die Faschis­ten – gegeben hat. Es ist die Geschichte von inneren Kämpfen und Verir­run­gen und ohne Zweifel ein Teil deutsch­er Kul­turgeschichte, den man unbe­d­ingt ken­nen sollte. Das Buch erschien im Ver­lag C. H. Beck und kostet im Hard­cov­er 26 und als E‑Book 20 Euro.