Bundesarchiv, Bild 183-M0323-0300 / Katscherowski (verehel. Stark), / CC-BY-SA 3.

Sächsische Zeitung deckt auf: „DDR feierte SA-Mann“!

Die Dres­d­ner Zeitung ent­deck­te Unge­heuer­lich­es. Von Ralf Richter

In der Chefredak­tion beim „Tag 24“ (ehe­ma­lige Dres­d­ner Mor­gen­post, ein Boule­vard­blatt, das aus der Ham­burg­er Mor­gen­post her­vorg­ing) ste­hen zwei Groß­bild­schirme: Auf dem ersten sieht man sämtliche aktuellen Beiträge in Form von kleinen Kacheln. Man erken­nt die jew­eilige Über­schrift und ein Foto und kann ständig beobacht­en, wie in weni­gen Minuten alte Beiträge ver­schwinden und neue hinzukom­men. Auf dem Bild­schirm, der direkt beim Schreibtisch des Chefredak­teurs ste­ht, wird es hinge­gen detail­liert­er: Welche Artikel erregt ger­ade die größte die Aufmerk­samkeit? Wie sind die Klick­zahlen? Wo ste­hen die Einzel­beiträge im Rank­ing, also welche wer­den stärk­er angek­lickt und welche kaum? Von wo wird zuge­grif­f­en, mit welchen Geräten?

Tag 24 in Dres­den lebt wie die benach­barte Säch­sis­che Zeitung zunehmend von „Online-Zugriff­szahlen“. Geld von der Wer­be­wirtschaft fließt „pro Klick“. Das ver­langt spek­takuläre Bilder und, wo die fehlen, wenig­stens reißerische riesen­große Über­schriften, die „Unge­heuer­lich­es“ aufzuk­lären ver­sprechen. Dabei ist es den „Head­lin­ern“- den Leuten, die pro­fes­sionell die Über­schriften machen – vol­lkom­men egal, ob die Beiträge dann am Ende über­haupt gele­sen wer­den. Ins­beson­dere „BILD-Zeitungsleute“ sind als Über­schriften­mach­er gefragt. Je schlechter die Abon­nen­ten­zahlen wer­den, desto reißerisch­er und boule­vardesker wer­den die Über­schriften, auch in son­st als ser­iös gel­tenden Tageszeitun­gen wie der Säch­sis­chen Zeitung, die in Dres­den gle­ich neben „Tag24“ entste­ht.

So wurde mit zwei Zen­time­ter großen Riesen­buch­staben auf ein­er Seite im Woch­enend­magazin verkün­det: „Wie ein SA-Mann in der DDR gefeiert und ver­fol­gt wird“. Es fehlte nur noch das Aus­rufeze­ichen. Eine Unge­heuer­lichkeit also, die dem DDR-Bürg­er 40 Jahre ver­schwiegen wurde. Wer war dieser gefeierte SA-Mann nun? Die Säch­sis­che Zeitung deckt auf: Es war der DDR-Schrift­steller, Lyrik­er und Kinder­buchau­tor Franz Füh­mann, der am 15. Jan­u­ar 1922 vor ein­hun­dert Jahren in der Tsche­choslowakei geboren wurde. Was die Säch­sis­che Zeitung da unter großen Let­tern aufdeckt, ist in höch­stem Maße erstaunlich, ins­beson­dere vor dem Hin­ter­grund, dass die gesamte SA-Führung am 30. Juni 1934 in einem Hotel am Tegernsee inhaftiert und anschließend – beim soge­nan­nten Röhm-Putsch – erschossen wurde. Zu diesem Zeit­punkt war Franz Füh­mann zwölf Jahre alt. Um als „SA-Mann“ zu gel­ten, hätte er nach gel­ten­dem Recht min­destens 21 Jahre alt sein müssen. Im sach­lich abge­fassten Text der Edelfed­er der Säch­sis­chen Zeitung und pro­fun­den Ken­ner­in der DDR-Lit­er­atur Karin Groß­mann, die niemals so ein­er Über­schrift für ihren Text zuges­timmt haben dürfte, gibt es lediglich einen kleinen Hin­weis auf die „SA-Mit­glied­schaft“ von Franz Füh­mann: „Mit sechzehn geht er mit einem Fre­und zur Reit­er-SA.“ 1938 spielt die SA freilich keine Rolle mehr, sie wurde von Hitler längst kalt­gestellt und von einem „SA-Mann“ Franz Füh­mann kann keine Rede sein. Darum aber geht es auch gar nicht, denn wichtig war ja nur die Über­schrift: „Wie ein SA-Mann in der DDR gefeiert und ver­fol­gt wird“. 60 Prozent der Leser von Sozialen Medi­en lesen ohne­hin nur die Über­schriften und somit haben die meis­ten Smart­phone-Leser der Säch­sis­chen Zeitung wieder etwas Neues gel­ernt: Die Dik­tatur der DDR feierte SA-Män­ner. Wenn wun­dert das noch? Übri­gens: Wed­er der Feuil­letonchef der Säch­sis­chen Zeitung noch sein Stel­lvertreter sind mit dem Werk des großen DDR-Autors aufgewach­sen, bei­de sind nach der Wende aus dem West­en in den Osten gekom­men. Unter ihrer Ver­ant­wor­tung wer­den nun endlich die Sach­sen aufgek­lärt, wir soll­ten ihnen dankbar sein!

Trans­paren­zhin­weis: In ein­er früheren Ver­sion des Artikels hieß es, Füh­mann sei „selb­st von den Puhdys ahnungs­los im Song ‚Alt wie ein Baum’ gewürdigt” wor­den. Das dem Lied zugrun­deliegende Gedicht “Alt möcht ich wer­den wie ein alter Baum” stammt allerd­ings nicht von Franz Füh­mann, son­dern von Louis Fürn­berg.