Sächsische Zeitung deckt auf: „DDR feierte SA-Mann“!
Die Dresdner Zeitung entdeckte Ungeheuerliches. Von Ralf Richter
In der Chefredaktion beim „Tag 24“ (ehemalige Dresdner Morgenpost, ein Boulevardblatt, das aus der Hamburger Morgenpost hervorging) stehen zwei Großbildschirme: Auf dem ersten sieht man sämtliche aktuellen Beiträge in Form von kleinen Kacheln. Man erkennt die jeweilige Überschrift und ein Foto und kann ständig beobachten, wie in wenigen Minuten alte Beiträge verschwinden und neue hinzukommen. Auf dem Bildschirm, der direkt beim Schreibtisch des Chefredakteurs steht, wird es hingegen detaillierter: Welche Artikel erregt gerade die größte die Aufmerksamkeit? Wie sind die Klickzahlen? Wo stehen die Einzelbeiträge im Ranking, also welche werden stärker angeklickt und welche kaum? Von wo wird zugegriffen, mit welchen Geräten?
Tag 24 in Dresden lebt wie die benachbarte Sächsische Zeitung zunehmend von „Online-Zugriffszahlen“. Geld von der Werbewirtschaft fließt „pro Klick“. Das verlangt spektakuläre Bilder und, wo die fehlen, wenigstens reißerische riesengroße Überschriften, die „Ungeheuerliches“ aufzuklären versprechen. Dabei ist es den „Headlinern“- den Leuten, die professionell die Überschriften machen – vollkommen egal, ob die Beiträge dann am Ende überhaupt gelesen werden. Insbesondere „BILD-Zeitungsleute“ sind als Überschriftenmacher gefragt. Je schlechter die Abonnentenzahlen werden, desto reißerischer und boulevardesker werden die Überschriften, auch in sonst als seriös geltenden Tageszeitungen wie der Sächsischen Zeitung, die in Dresden gleich neben „Tag24“ entsteht.
So wurde mit zwei Zentimeter großen Riesenbuchstaben auf einer Seite im Wochenendmagazin verkündet: „Wie ein SA-Mann in der DDR gefeiert und verfolgt wird“. Es fehlte nur noch das Ausrufezeichen. Eine Ungeheuerlichkeit also, die dem DDR-Bürger 40 Jahre verschwiegen wurde. Wer war dieser gefeierte SA-Mann nun? Die Sächsische Zeitung deckt auf: Es war der DDR-Schriftsteller, Lyriker und Kinderbuchautor Franz Fühmann, der am 15. Januar 1922 vor einhundert Jahren in der Tschechoslowakei geboren wurde. Was die Sächsische Zeitung da unter großen Lettern aufdeckt, ist in höchstem Maße erstaunlich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gesamte SA-Führung am 30. Juni 1934 in einem Hotel am Tegernsee inhaftiert und anschließend – beim sogenannten Röhm-Putsch – erschossen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Franz Fühmann zwölf Jahre alt. Um als „SA-Mann“ zu gelten, hätte er nach geltendem Recht mindestens 21 Jahre alt sein müssen. Im sachlich abgefassten Text der Edelfeder der Sächsischen Zeitung und profunden Kennerin der DDR-Literatur Karin Großmann, die niemals so einer Überschrift für ihren Text zugestimmt haben dürfte, gibt es lediglich einen kleinen Hinweis auf die „SA-Mitgliedschaft“ von Franz Fühmann: „Mit sechzehn geht er mit einem Freund zur Reiter-SA.“ 1938 spielt die SA freilich keine Rolle mehr, sie wurde von Hitler längst kaltgestellt und von einem „SA-Mann“ Franz Fühmann kann keine Rede sein. Darum aber geht es auch gar nicht, denn wichtig war ja nur die Überschrift: „Wie ein SA-Mann in der DDR gefeiert und verfolgt wird“. 60 Prozent der Leser von Sozialen Medien lesen ohnehin nur die Überschriften und somit haben die meisten Smartphone-Leser der Sächsischen Zeitung wieder etwas Neues gelernt: Die Diktatur der DDR feierte SA-Männer. Wenn wundert das noch? Übrigens: Weder der Feuilletonchef der Sächsischen Zeitung noch sein Stellvertreter sind mit dem Werk des großen DDR-Autors aufgewachsen, beide sind nach der Wende aus dem Westen in den Osten gekommen. Unter ihrer Verantwortung werden nun endlich die Sachsen aufgeklärt, wir sollten ihnen dankbar sein!
Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Fühmann sei „selbst von den Puhdys ahnungslos im Song ‚Alt wie ein Baum’ gewürdigt” worden. Das dem Lied zugrundeliegende Gedicht “Alt möcht ich werden wie ein alter Baum” stammt allerdings nicht von Franz Fühmann, sondern von Louis Fürnberg.