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Vom linken Sprechen mit der Klasse

Peter Porsch über die Sprache der LINKEN

Im Grunde ist es eine Bin­sen­weisheit, dass die Partei DIE LINKE für jene da sein sollte, die sich am unteren Ende der sozialen Hier­ar­chien und der Einkom­mensstufen befind­en. Ich glaube nicht, dass es für die Anerken­nung ein­er solchen Selb­stver­ständlichkeit große Auseinan­der­set­zun­gen in der Partei braucht. Den­noch soll­ten wir immer wieder kon­trol­lieren, ob wir diesem Anspruch auch gerecht wer­den, pro­gram­ma­tisch und prak­tisch in unserem poli­tis­chen Han­deln. Dazu braucht es Kom­mu­nika­tion, Kom­mu­nika­tion mit jenen Schicht­en der Bevölkerung, für die wir uns erfol­gre­ich und bei den Betrof­fe­nen auch ver­ständlich ein­set­zen wollen.

Freilich ist das gar nicht so ein­fach, wie man vielle­icht denkt. Es genügt nicht unseren Anspruch zu for­mulieren und ihn aus­führlich in geschlif­f­en­er Sprache zu begrün­den. Wir müssen auch mit der Sprache der­er umge­hen kön­nen, die wir vertreten wollen. Das heißt nicht zu ver­suchen, so zu sprechen wie diese, son­dern wir müssen ler­nen ihnen zuzuhören und zu ver­ste­hen, was sie sagen und vor allem wie sie es sagen.

Seit über 50 Jahren und wahrschein­lich auch schon länger ist dies in den Schriften zur Arbeit­er­bil­dung bekan­nt. Die hier gemein­ten Men­schen reden über ihre soziale Lage nicht in kom­plizierten, von detail­liert­er Analyse geprägten Tex­ten, son­dern – so nen­nt es Oskar Negt 1968 in seinem Buch „Sozi­ol­o­gis­che Phan­tasie und exem­plar­isches Ler­nen. Zur The­o­rie der Arbeit­er­bil­dung“ – in ein­er Sprache „impliziter Bedeu­tun­gen“. Dabei fassen Men­schen ihre sozialen Erfahrun­gen in ein­fachen Äußerun­gen zusam­men, denen aber ihre gesamte Erfahrungswelt zugrunde liegt. Sprechen sie zum Beispiel über Arbeit­slosigkeit, so zer­gliedern sie ihre Erfahrung nicht in Ursache, Auswirkung und Ausweg­möglichkeit­en, son­dern allein mit diesem Wort wird alles aus­ge­sprochen, schwingt ihre gesamte Betrof­fen­heit von Arbeit­slosigkeit als Erleben, Angst, Wider­stand und Bewäl­ti­gung mit, ohne dies im Einzel­nen auszubre­it­en. Ihre erlebte Stel­lung in der Gesellschaft bün­delt sich oft in Aus­sagen wie: „Nützt ja alles nichts“. „Du weißt schon“. „Und? Wer wird es wieder bezahlen?“. „Die sind doch alle gle­ich“. „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“. Und so weit­er, und so weit­er. Solche Sätze greifen auf die Annahme gemein­samer Erfahrung genau­so zurück wie auf die Annahme daraus resul­tieren­der Sol­i­dar­ität. Es ist zugle­ich res­ig­na­tiv und aggres­siv, hil­f­los und kampf­bere­it. Es ist getra­gen von Klass­enin­stinkt, geboren in Klassen­er­fahrung, nicht aber schon von Klassen­be­wusst­sein. So sprechen die Men­schen nicht als analysierende Ange­hörige der Klasse, son­dern als Betrof­fene der Klas­sen­ge­sellschaft. Fragt man nach, bekommt man deshalb höchst sel­ten sys­tem­a­tis­che Durch­dringung der Lebenssi­t­u­a­tion und entsprechende Schlussfol­gerun­gen. Es wer­den vielmehr Geschicht­en „aus dem Leben“ erzählt. Auf die kommt es aber an. Sie erzählen von der Klassen­lage. In diesen Geschicht­en bekom­men Men­schen ihre Iden­tität als Mit­glieder ein­er Klasse. Die Klasse ist aber bere­its eine höhere Abstrak­tion. Zuerst ist es das konkrete Leben, das prägt, das konkrete Leben von Beschäftigten an der Super­mark­tkasse, im Lager von Men­schen mit Migra­tions­geschichte, von Men­schen jüdis­chen Glaubens und vie­len anderen mehr.

Die AfD benutzt das geschickt. Sie erzählt die Geschicht­en undif­feren­ziert weit­er. Sie ver­wan­delt dabei aggres­sive Hil­flosigkeit in aggres­sive Frech­heit. Freilich auch nicht mehr. Dabei erzielt diese Partei jedoch offen­sichtlich den Effekt, als Organ­i­sa­tion wahrgenom­men zu wer­den, die sich was traut. Dass sie deshalb noch nichts kann, ist nicht so wichtig. Am besten wirkt dieses ana­lytis­che Vaku­um ver­bun­den mit pseudokämpferischem Anspruch, wenn man sich bis zu den Gren­zen der Sprache des Faschis­mus vor­wagt oder sie fall­weise auch über­schre­it­et. Das wirkt, ist freilich brandge­fährlich und poli­tis­ch­er Betrug an den Men­schen, für die zu sprechen man vorgibt.

Einen anderen Betrug für das gle­iche soziale Umfeld find­et man bei der FDP: „Bei uns kann jed­er alles wer­den, egal, wo er herkommt.“ Man kön­nte das ja als Vor­griff auf sozial­is­tis­che Ideen der Chan­cen­gle­ich­heit ver­ste­hen. Es ist aber etwas ganz anderes. Ger­ade bei jun­gen Leuten, die zum ersten Mal wählen, die noch Träume vom kün­fti­gen Leben haben, bedi­ent es diese Träume. Wie im Groschen­ro­man eröffnet es eine ange­blich real­isier­bare Wun­schwelt des eige­nen Wil­lens. Den­noch ist es nichts anderes als eine Repro­duk­tion der neg­a­tiv­en Seit­en jen­er „impliziten Bedeu­tun­gen“, in denen die Lebenser­fahrun­gen zusam­menge­fasst sind. Der Ausweg ähnelt dem Traum vom Lot­to­gewinn, den man erre­ichen kann, wenn man nur oft genug spielt.

Unsere linke Auf­gabe ist eine ent­ge­genge­set­zte. Wir soll­ten nicht schlau und selb­st­gerecht und selb­stver­liebt ver­suchen, wie die ein­fachen Arbeiter*innen zu sprechen. Uns muss es vielmehr gelin­gen, aus ihren Geschicht­en ver­ständliche poli­tis­che Pro­gramme und Pro­jek­te zu machen. Das braucht eben zuallererst genaues Zuhören. Unsere linke Auf­gabe ist es, erst danach im neugieri­gen und geduldigen Gespräch, das sich in Teil­habe ver­wan­delt, die Abstrak­tion­sebene der Klasse so darzustellen, dass daraus auch das Gefühl der Betrof­fen­heit entste­ht, dass die Zuge­hörigkeit zur Klasse nicht vom eige­nen Erleben getren­nt wird, son­dern vielmehr aus dem eige­nen Erleben ver­ständlich wird. So ver­helfen wir wenig reflek­tierten Erleb­niskom­plex­en zu einem poli­tisch wirk­samen Klassen­be­wusst­sein.

Ler­nen wir das zu erler­nen! Ler­nen wir Arbeit­er­bil­dung, nicht Arbeit­er­belehrung!