Hitler begrüßt Generalfeldmarschall von Manstein auf einem Feldflugplatz im Osten 1943 [freigegeben am 18.3.1943]
Bundesarchiv, Bild 146-1995-041-23A / CC-BY-SA 3.0

Militärisch versiert, moralisch gescheitert

René Lin­de­nau beleuchtet das Leben von Erich von Manstein

Als Junge muss er ein ziem­lich­es Leicht­gewicht gewe­sen sein. Als „aus­ge­sprochen zart“ sollte er sich später beschreiben. „Die gesunde – später im Kadet­tenko­rps harte – Erziehung hat mich aber so weit gekräftigt, dass ich beim Ein­tritt in die Armee wenig­stens bed­ingt tauglich war“. Der „bed­ingt Taugliche“ sollte es bis zum Gen­er­alfeld­marschall der Wehrma­cht brin­gen: Erich von Manstein.

Frühzeit­ig waren seine beson­dere mil­itärische Begabung sowie seine oper­a­tiv­en und strate­gis­chen Fähigkeit­en aufge­fall­en. Das wusste Manstein auch: „Bei manchen sein­er Altersgenossen und vie­len Ranghöheren im Offizier­sko­rps war der fach­lich über­legene Manstein nie son­der­lich beliebt gewe­sen. Er galt als arro­gan­ter Besser­wiss­er“. Adolf Hitler sollte ihn als seinen „fähig­sten Gen­er­al“ beze­ich­nen. Von Oberst i. G. Johann Graf von Kiel­mansegg ist diese Aus­sage über­liefert: „Er ließ andere ganz gerne merken, dass er klüger war“. Und sow­jetis­ch­er­seits schrieb man: „Für einige von uns war der gefährlich­ste die Kanaille Erich von Lewin­s­ki alias von Manstein (…)“. Bei Manstein hat­te man es mit „einem schar­fen strate­gis­chen Denker, dem let­zten Zögling der klas­sis­chen Gen­er­al­stab­stra­di­tion“ zu tun.

Begin­nen wir aber von vorn. Sein Leben begann Manstein am 24. Novem­ber 1887 als zehntes Kind der Fam­i­lie Lewin­s­ki. Da die Ehe sein­er Tante Hed­wig mit Major Georg von Manstein kinder­los blieb, wurde der Neuge­borene nach dessen Taufe „vere­in­barungs­gemäß“ adop­tiert. Später bekam das Einzelkind Erich noch eine Adop­tivschwest­er Martha dazu. Ihre Kind­heit im Hause Manstein, glaubt man den Schilderun­gen der Adop­tivgeschwis­ter, dürfte über­aus glück­lich gewe­sen sein. Der Adop­tierte hielt auch weit­er­hin regelmäßig Kon­takt zu den Lewin­skis. Aufgewach­sen war „Erli“ seinen eige­nen Worten zufolge in der Welt des preußis­chen Sol­da­ten­tums, sich­er auch bed­ingt durch das famil­iäre Umfeld und seine Herkun­ft: Kün­ftige Gen­eräle haben ihn zur Adop­tion freigegeben beziehungsweise adop­tiert und eine Tante Gertrud war mit Gen­er­alfeld­marschall Paul von Hin­den­burg ver­heiratet. Sechzehn direk­te Vor­fahren der eige­nen Lewin­s­ki-Lin­ie und der von Mansteins haben als Gen­eräle in preußisch-deutschen oder zaris­tisch-rus­sis­chen Dien­sten ges­tanden. Daher dürfte es nicht ver­wun­der­lich sein, wenn Manstein davon sprach, das ihm „ein gewiss­es sol­datis­ches Erbgut zuteil gewor­den ist“.

Nur fol­gerichtig dürfte deshalb sein Wun­sch gewe­sen sein, von früh­ster Jugend an, wie seine Vor­fahren dem König zu dienen. So begann er 1900 zunächst im kaiser­lichen Kadet­tenko­rps in Plön und an der Haup­tkadet­te­nanstalt Berlin Lichter­felde seine Sol­datenkar­riere. Als Fäh­n­rich trat er 1906 in das 3. Gardereg­i­ment zu Fuß ein. Schon 1907 wurde er Leut­nant. Ein Besuch der Berlin­er Kriegsakademie (1913–1914) verkürzte der Beginn des Ersten Weltkrieges: von der Akademie zur Front. Hier machte der Ober­leut­nant als Adju­tant im 2. Garde-Reserve-Reg­i­ment erste Kriegser­fahrun­gen. In der Schlacht um Namur (August 1914) erlebte er seine Feuer­taufe. Danach wurde sein Korps zur Ver­stärkung der 8. Armee von Gen­er­al Paul von Hin­den­burg nach Ost­preußen ver­legt. An der Ost­front kämpfte Manstein an den Masurischen Seen, an der Weich­sel und in Rus­sisch-Polen. Im Novem­ber 1914 wurde der junge Offizier im Nahkampf schw­er ver­wun­det: „Im Handge­menge erhielt ich einen Schuss, der mich nieder­warf. Mein getrof­fen­er Geg­n­er fiel auf mich. Aber ehe er mir den Garaus machen kon­nte, erschoss den auf mir Liegen­den ein­er unser­er her­beigeil­ten Grenadiere. Auch mich traf ein zweit­er Schuss ins Knie und lähmte mich“. Bei dem Stoßtrupp, zu dem sich der Krieger frei­willig meldete, ging es schon damals gegen die Russen. Seine Ankun­ft im Reg­i­mentsstab soll sein Kom­man­deur mit fol­gen­den Worten quit­tiert haben: „Das haben Sie nun davon“. Ein halbes Jahr Lazarett und ein dauer­haft taubes recht­es Bein waren das Ergeb­nis.

Nach sein­er Gene­sung wurde er im Juni 1915 zum Kriegsheimkehrer, for­t­an in Stab­sver­wen­dun­gen. Obwohl er kein aus­ge­bilde­ter Gen­er­al­stab­sof­fizier war, berief man den Haupt­mann (befördert am 24. Juli 1915) in den Stab der Armee­abteilung Gall­witz (später 12. Armee). Als Stab­sar­beit­er war Manstein hier erst­mals an der Pla­nung und Vor­bere­itung strate­gis­ch­er Oper­a­tio­nen beteiligt. Im Juli wech­selte er den Kriegss­chau­platz: Vom Balkan ging es an die West­front zurück. Dort erhielt er die Stel­lung als Ordon­nan­zof­fizier des Chefs des Stabes der neu zusam­mengestell­ten 1. Armee von Oberst Fritz von Loßberg. In diesem Auf­gaben­bere­ich bescheinigte man dem auf­streben­den Offizier ein bemerkenswertes tak­tis­ches Tal­ent. Ab Okto­ber 1917 fand Manstein Ver­wen­dung als Erster Gen­er­al­stab­sof­fizier in der im Baltikum einge­set­zten 4. Kaval­lerie-Divi­sion, die vornehm­lich Besatzungsauf­gaben zu leis­ten hat­te. In gle­ich­er Funk­tion wech­selte er im Mai 1918 noch zur 213. Infan­teriedi­vi­sion (West­front). Dann war der Erste Weltkrieg fast zu Ende, den er deko­ri­ert mit dem Eis­er­nen Kreuz bei­der Klassen sowie mit dem Rit­terkreuz des Königlichen Hau­sor­dens von Hohen­zollern mit Schw­ert­ern abschloss.

Fol­gerichtig war seine Über­nahme in die per Ver­sailler Ver­trag auf 100.000 Mann geschrumpfte Reich­swehr. Man trug weit­er Uni­form. Ganz kon­flik­t­frei ver­lief Mansteins Über­gang vom Kaiser­re­ich in die Repub­lik jedoch nicht, war er doch 1905 als Leib­page der rus­sis­chen Großfürstin Wladimir bei der Hochzeit des Kro­n­prinzen Wil­helm dabei und hat­te im Fol­ge­jahr die Sil­berne Hochzeit des Kaiser­paares miter­lebt. Das prägt natür­lich. Seine Reserviertheit gegenüber der Repub­lik teilte Manstein mit vie­len Vertretern sein­er Klasse. Aber man arrang­ierte sich: „Hat­te die Form gewech­selt – mochte die neue uns gefall­en oder nicht – es war unser Deutsch­land, unser Volk, dem wir zu dienen zu hat­ten“.

Neben allem Mil­itärischen blieb dem „Nur-Sol­dat­en“ auch Zeit für Pri­vates. Anfang 1920 lernte Manstein die 19jährige Jut­ta Sibylle von Loesch (1900–1966) ken­nen, eine dunkel­haarige, zarte Schön­heit. Drei Tage später machte er ihr einen Antrag und im Juni 1920 läuteten die Hochzeits­glock­en. Erst der Tod sein­er Frau hat die Ehe, die als außeror­dentlich glück­lich galt, geschieden. Drei Kinder set­zten sie in die Welt, ihr Sohn Gero fiel mit 19 Jahren 1942 als Leut­nant an der Ost­front. Bei Mozart, in Sprachen, Geschichts­büch­ern und bei der Garte­nar­beit und ein­er guten Zigarre kon­nte er Entspan­nung find­en. Eben­so wurde Manstein nachge­sagt, ein guter Schachspiel­er gewe­sen zu sein.

Beze­ich­nend für seine Per­sön­lichkeit war unter anderem dieser Vor­fall: „Als er Ende 1923 zum Wehrkreiskom­man­do Stet­tin wech­selte und sich im Woh­nungstausch benachteiligt fühlte, beschw­erte er sich nicht bei seinem unmit­tel­baren Vorge­set­zten, son­dern gle­ich beim Chef der Heeresleitung. Das brachte ihm nicht nur eine Woche Stube­nar­rest ein, auch seine Beförderung zum Major wurde zurück­gestellt (Major wurde dann Anfang 1928).“ Der spätere Gen­er­al Siegfried West­phal berichtete aus dieser Zeit: „Manstein war ein großzügiger Vorge­set­zter, ein vol­lkommen­er Gen­tle­man, aber ein unbe­que­mer Untergeben­er“ .

Nach dem Ersten Weltkrieg machte Manstein zunächst Ein­satzer­fahrun­gen beim Gren­zschutz Oberkom­man­do Süd, danach im Stab des Grup­penkom­man­dos II mit Sitz in Kas­sel. Endgültig am 1. Jan­u­ar 1921 in die Reich­swehr über­nom­men, wurde Manstein am 1. Okto­ber Kom­paniechef des Infan­terie-Reg­i­ments 5 in Anger­münde. Danach wurde er wiederum als Stab­sof­fizier einge­set­zt; ab Okto­ber 1923 im Wehrkreiskom­man­do II (Stet­tin) und anschließend im Wehrkreiskom­man­do IV (Dres­den). Hier war das „oper­a­tive Wun­derkind“ als Lehrer für Tak­tik und Mil­itärgeschichte mit der Führerge­hil­fe­naus­bil­dung (Tarn­name für die Gen­er­al­stab­saus­bil­dung, die nach den Bes­tim­mungen von Ver­sailles der Reich­swehr ver­boten war) betraut. Vom 1. Okto­ber 1927 bis zum 1. Sep­tem­ber 1929 tat er Dienst als Stab­sof­fizier beim Infan­terieführer IV in Magde­burg. Die näch­st­fol­gende Anschlussver­wen­dung fand er im Trup­pe­namt des Reich­swehrmin­is­teri­ums. Dort war er mit der Leitung der Gruppe I in der Abteilung T1 (T1 entsprach der Oper­a­tions­abteilung eines Gen­er­al­stabes) betraut, die sich mit Auf­marsch- und Oper­a­tionsplä­nen befasste. Er über­prüfte die Mobil­machungspläne der Organ­i­sa­tion­s­abteilung, deren Leit­er Ober­stleut­nant Wil­helm Kei­t­el war. Manstein kon­nte dem Ranghöheren bei der Prü­fung sein­er Mobil­machungspläne Män­gel und ekla­tante Schwächen nach­weisen. Dazu erar­beit­ete er Gegen­vorschläge, die von den Vorge­set­zten angenom­men wur­den. Auf diese Weise wurde Kei­t­el zur Nachar­beit gezwun­gen. Wohl damit begann eine Kon­flik­tlin­ie zwis­chen Kei­t­el und Major von Manstein, die über die Ent­las­sung (1944) des Prüfers hin­aus weit­er­laufen sollte. Seit­dem sollte zwis­chen bei­den Offizieren ein „Ver­hält­nis gegen­seit­iger Abnei­gung“ herrschen. Andere Quellen sprechen in Bezug auf den kün­fti­gen Chef des Oberkom­man­dos der Wehrma­cht (OKW), Gen­er­alfeld­marschall Kei­t­el, von „devot­er Unfähigkeit“ oder von „Mit­tel­maß“.

Als beson­ders bedeut­same Ereignisse im Arbeit­sleben des Mil­itärs ein­grup­pieren darf man zwei Besuche in Stal­ins Sow­je­tu­nion. Mit dem Chef des Trup­pe­namtes Gen­eral­ma­jor Wil­helm Adam unter­nahm er Reisen nach Moskau, Charkow und Kiew, im Sep­tem­ber 1932 wohnte er mit acht Wehrma­chtof­fizieren ein­er Trup­penübung im Tran­skauka­sis­chen Mil­itär­bezirk bei. Dabei lernte der Reisende Spitzen der Roten Armee ken­nen, darunter die Marschälle (jew­eils ab 1935) Michail Tuchatschews­ki und Alexan­der Jegorow. Bei­de fie­len schon vor dem bevorste­hen­den deutsch-sow­jetis­chen Krieg aus, denn Stal­in hat­te sie selb­st im Zuge der Enthaup­tung der Roten Armee über die Klinge sprin­gen lassen (1937 bzw. 1939).

Am 1. April 1931 wurde Manstein Ober­stleut­nant und wech­selte tur­nus­gemäß zum 1. Okto­ber 1932 wieder in den Trup­pen­di­enst. Dies­mal befehligte er das II. Jäger­batail­lon des 4. (Preußis­chen) Infan­terie Reg­i­ments in Kol­berg. Als Batail­lon­schef erhielt er am 1. Okto­ber 1933 die Beförderung zum Oberst. Mit dem 1. Feb­ru­ar 1934 wurde Manstein zum Stab­schef beim Wehrkreiskom­man­do III in Berlin ernan­nt. Der Chef des Wehrkreis­es war der spätere Gen­er­alfeld­marschall Erwin von Wit­zleben, der als Mit­glied des mil­itärischen Wider­standes nach dem gescheit­erten Atten­tat auf Hitler 1944 durch das Fall­beil starb. Um hier vorzu­greifen: Mehrfach unter­nahm man den Ver­such, Manstein für den mil­itärischen Wider­stand zu gewin­nen. Seine Antwort war: „Preußis­che Gen­er­alfeld­marschälle meutern nicht“. Daher nicht ver­wun­der­lich seine Aus­sage, die Tat des 20. Juli sei eines Offiziers nicht würdig. Let­ztlich blieb Manstein dem Eid auf Hitler bis zum Schluss treu und damit ein­er sein­er willi­gen Voll­streck­er. Nicht zulet­zt deshalb lautet das Urteil sein­er Kri­tik­er: mil­itärisch ver­siert, aber moralisch gescheit­ert.

Doch eine wider­ständi­ge Aktion, zu der unbe­strit­ten Zivil­courage gehörte, ist mit Mansteins Namen ver­bun­den. Der „Ari­er­para­graph“ bot ihm den Anlass, sich am 21. April 1934 protestierend an den Chef des Trup­pe­namtes Gen­er­alleut­nant Lud­wig Beck zu wen­den. In ein­er Denkschrift set­zte er sich für einen bere­its ent­lasse­nen Leut­nant ein, der als „Vierteljude“ nicht mehr die Uni­form tra­gen sollte. Der Beschw­erde­führer erre­ichte, dass jen­er Klaus von Schmehling-Dring­shofen bis zu ihrer Auflö­sung in die chi­ne­sis­che Mil­itär­mis­sion eingegliedert wurde, im Polen-Feldzug ist er dann gefall­en. Als der erzürnte Min­is­ter Gen­er­alfeld­marschall Wern­er von Blomberg das Schrift­stück auf den Tisch bekam, forderte er Diszi­pli­n­ar­maß­nah­men gegen den Unge­hor­samen, die jedoch wur­den vom Chef der Heeresleitung, Gen­er­aloberst Wern­er von Fritsch, nicht durchge­set­zt. Trotz­dem sollte man sich keine Illu­sio­nen über eine plöt­zliche „Juden­fre­undlichkeit“ Mansteins machen. So mah­nte der Protestler, nicht die „Sol­datenehre zu vergessen, die uns bish­er unlös­lich aneinan­der geket­tet hat“. Aus­drück­lich wandte er sich nur gegen die rück­wirk­ende Anwen­dung des Para­graphen. Wie kon­se­quent Manstein dabei war, soll­ten seine schuld­haften Ver­strick­un­gen an Ver­brechen gegen Juden und die Zivil­bevölkerung über­haupt in seinen Oper­a­tions­ge­bi­eten (Polen, Sow­je­tu­nion) offen­baren. Einge­gan­gen sei in diesem Zusam­men­hang auf das Agieren der 11. Armee, die er im Rus­s­land-Feldzug befehligte: „Die Koop­er­a­tion von SD und Wehrma­cht bei der Ermor­dung von Zivilis­ten und Kriegs­ge­fan­genen hat­te sich bei der 11. Armee bere­its einge­spielt, als Manstein dort ein­traf. Anfang Jan­u­ar 1942 belief sich die Zahl der jüdis­chen Opfer der SD-Ein­satz­gruppe D unter SS-Grup­pen­führer Otto Ohlen­dorf auf der Krim bere­its auf 23.000. Mansteins Trup­pen halfen beim Juden­mord durch Bere­it­stellen von Fahrzeu­gen, Absperr- und Exeku­tion­skom­man­dos. (…) In Sim­fer­opol etwa ver­langte das AOK 11 vom SD Anfang Dezem­ber 1941, die erst für das Früh­jahr geplante Exeku­tion von 10.000 Juden noch vor Wei­h­nacht­en durchzuführen, um angesichts der zu erwartenden Hunger­snot deren Lebens­mit­tel auf die übrige Bevölkerung verteilen zu kön­nen.“. Das war ganz im Sinne des Armee­be­fehlshabers. In einem Befehl vom 20. Novem­ber 1941 ver­langte er von sein­er Truppe Ver­ständ­nis für „die Notwendigkeit der harten Sühne am Juden­tum, dem geisti­gen Träger des bolschewis­tis­chen Ter­rors“. Zudem ist bezeugt, dass der Feld­herr mehrfach von zuver­läs­siger Seite von den Massen­mor­den des SD informiert war, aber untätig blieb, wenn es darum ging, diesem Ter­ror Ein­halt zu gebi­eten. Leug­nen ist also zweck­los.

Fraglich ist nur, ob ein der­ar­tiges Ver­hal­ten eines langjähri­gen Gen­er­al­stab­sof­fiziers wie Erich von Manstein würdig war. Denn im Hand­buch für den Gen­er­al­stab­s­di­enst im Kriege von 1939 heißt es: „Der Gen­er­al­stab­sof­fizier soll ein Höch­st­maß an Charak­ter­stärke und Tak­t­ge­fühl besitzen“. Wie lassen sich solche Eigen­schaften mit der Teil­nahme an Raub- und Ver­nich­tungskriegen und mit der Ver­ant­wor­tung für den Tod zahllos­er Ange­höriger der Zivil­bevölkerung vere­in­baren?

Kehren wir noch ein­mal in die Vorkriegszeit zurück. Zum 1. Juli 1935 wurde Manstein in den Gen­er­al­stab des Heeres befohlen. Hier erhielt er die Beru­fung zum Chef der Oper­a­tions­abteilung. Im Okto­ber 1936 wurde der frisch beförderte Gen­eral­ma­jor zum Oberquartier­meis­ter I ernan­nt, erster Gehil­fe und Vertreter des Gen­er­al­stab­schefs Lud­wig Beck – und damit dessen desig­niert­er Nach­fol­ger. For­t­an arbeit­ete der Hoff­nungsträger auf das Amt des Gen­er­al­stab­schefs am Aus­bau des Kriegsheeres mit. Des Weit­eren befasste er sich mit Vor­bere­itun­gen für die Okku­pa­tion Öster­re­ichs und mit Über­legun­gen über die Spitzengliederung der Wehrma­cht im Kriegs­fall. Aber die Blomberg-Fritsch-Affäre sollte den Kar­ri­erewun­sch des Gen­er­al­stäblers uner­füllt lassen. Hitler nutze diese Affäre, um sich von ein­er Rei­he ihm missliebiger Offiziere zu tren­nen. Über­raschen­der­weise gehörte Manstein dazu. Zu gerne hätte er sich in ein­er Rei­he mit Moltke d. Ä. und Schli­ef­fen gese­hen. Der Autor Mar­cel Stein mut­maßt in seinem Buch: „Allerd­ings hätte er es in der Ver­wen­dung als Gen­er­al­stab­schef ver­mieden, in eine Rei­he von Kriegsver­brechen ver­wick­elt zu wer­den“. Frostig ver­lief die Amt­süber­gabe an den neuen Oberquartier­meis­ter I, Gen­er­al Franz Halder: Dem­nach drück­te ihm Manstein den Schlüs­sel für den Panz­er­schrank in die Hand und sagte ihm schroff: „So, das kön­nen Sie sich durch­le­sen. Auf Wieder­se­hen“, drehte sich um und ließ Halder ste­hen. Die neue Lage bedeutete nun: Der Weg auf den Gen­er­al­stab­schef­posten war ver­baut, dafür eröffnete sich für Manstein die Chance, ein erfol­gre­ich­er Heer­führer zu wer­den, der sich auch beim Geg­n­er (rein mil­itär­fach­lich betra­chtet) Respekt und Anerken­nung erwarb. Mit Wirkung vom 4. Feb­ru­ar 1938 übertrug man dem ver­hin­derten Gen­er­al­stab­schef die Befehls­ge­walt über die 18. Divi­sion im schle­sis­chen Lieg­nitz. Aber noch im März war Manstein im Auf­trag des Oberkom­man­dos der Wehrma­cht an der Vor­bere­itung des Ein­marsches deutsch­er Trup­pen in Öster­re­ich und der Eingliederung des öster­re­ichis­chen Bun­desheeres in die Wehrma­cht beteiligt. In Folge des Münch­en­er Abkom­mens nahm seine 18. Divi­sion an der Beset­zung des Sude­ten­lan­des teil.

Den Zweit­en Weltkrieg begann er im Rang eines Gen­er­alleut­nants als Chef des Gen­er­al­stabes der Heeres­gruppe Süd. Auf dem Oper­a­tions­plan stand der Über­fall auf Polen. Anschließend erar­beit­ete Manstein den Angriff­s­plan für den West­feldzug, der als Sichelschnitt­plan bekan­nt wurde. „Sichelschnitt“ bah­nte deutschen Panz­erver­bän­den 1940 den Weg durch die ange­blich unwegsamen Arden­nen zur Kanalküste. Wegen seines Anteils am Erfolg des Frankre­ich-Feldzuges wurde Manstein erneut befördert, zum Gen­er­al der Infan­terie, und er bekam das Rit­terkreuz zum Eis­er­nen Kreuz.

Das „Unternehmen Bar­barossa“, der Über­fall auf die Sow­je­tu­nion, brachte ihm zunächst das Kom­man­do über ein Panz­erko­rps, das, so for­mulierte es der Mem­oiren­schreiber in seinen Erin­nerun­gen „Ver­lorene Siege“, die Erfül­lung eines Wun­schtraums war. Mit seinen Panz­erver­bän­den stieß er durch die baltischen Staat­en bis Leningrad vor. An diesem Punkt muss man erneut auf die Ver­ant­wor­tung des Heer­führers für Kriegsver­brechen einge­hen. Denn ent­ge­gen sein­er Behaup­tun­gen in seinen Erin­nerun­gen, „dass er den ‚Kom­mis­sar­be­fehl‘ abgelehnt habe und ihn seine Trup­pen nicht aus­führten“, kam es schon in den ersten Wochen nach Beginn des Unternehmens Bar­barossa zu „Erschießun­gen von Kom­mis­saren sowie anti­jüdis­chen Aktio­nen in Mansteins Befehls­bere­ich“ – so Olivi­er Wrochem.

Im weit­eren Kriegsver­lauf mit Mansteins Beteili­gung fol­gten (Beförderung zum Gen­er­aloberst im März 1942) Ein­sätze gegen die Hal­binsel Kertsch (Unternehmen Trap­pen­jagd) und die Eroberung der Fes­tung Sewastopol. Die nach zwei Anläufen erfol­gre­iche Fes­tungser­oberung brachte ihm am 1. Juli den Rang eines Gen­er­alfeld­marschalls ein. Weniger erfol­gre­ich war sein mil­itärisches Han­deln als Ober­be­fehlshaber der Heeres­gruppe Don in der Schlacht um Stal­in­grad. Der Ver­such, der eingekessel­ten 6. Armee wirk­sam zu helfen, schlug fehl. Im März 1943 gelang Manstein in der Schlacht um Charkow die Rücker­oberung der Stadt. Doch in der Panz­er­schlacht im Kursker Bogen ging die strate­gis­che Ini­tia­tive vol­lends in die sow­jetis­che Hand über. Ab 1943/44 ging es für die deutsche Wehrma­cht nur noch zurück. Der Krieg kehrte heim nach Deutsch­land, daran kon­nte auch ein Manstein nichts ändern. Jeden­falls wurde er als Ober­be­fehlshaber der Heeres­gruppe Süd am 30. März 1944 von Hitler emp­fan­gen. Dabei wurde der „Marschall Rück­wärts“ (Joseph Goebbels) ent­lassen, nicht ohne ihm noch die Schw­ert­er zum Eichen­laub des Rit­terkreuzes zu ver­lei­hen.

Ver­set­zt in die „Führerre­serve“, bekam der „Marschall ohne Ver­wen­dung“ bis zum Kriegsende kein Kom­man­do mehr. Statt eines erneuten Krieg­sein­satzes erwarteten ihn Kriegs­ge­fan­gen­schaft und ein Prozess vor einem britis­chen Mil­itärg­ericht (1949). Ein gewiss­er Win­ston Churchill unter­stützte die Vertei­di­gung des deutschen Gen­er­alfeld­marschalls finanziell. Vom 23. August 1949 bis zum 19. Dezem­ber saß man über ihn zu Gericht. Am Ende wurde der Angeklagte in acht Punk­ten freige­sprochen und in neun Punk­ten für schuldig befun­den. Als schuld­haft erkan­nte das Gericht unter anderem die Ver­nach­läs­si­gung der Vorge­set­zten­ver­ant­wortlichkeit als zuständi­ger Ober­be­fehlshaber. An den Ver­brechen in Polen kon­nte man ihm keine aktive Beteili­gung nach­weisen, aber die Ver­nach­läs­si­gung der Auf­sicht­spflicht als Ober­be­fehlshaber und damit den Völk­er­mord mit­ge­tra­gen zu haben, bleibt auch hier seine Schuld. Die Her­ab­set­zung der Haft­strafe auf zwölf statt der ursprünglich 18 Jahre, Haftver­scho­nung und die schließlich vorzeit­ige Ent­las­sung (1953) wegen guter Führung (!) ließen den Feld­marschall wieder zum freien Mann wer­den.

In Frei­heit betätigte sich der Wehrma­chtvet­er­an mit Marschall­stab bis 1960 als mil­itärisch­er Berater und zivil­er Auf­bauhelfer der Bun­deswehr. Als er am 10. Juni 1973 starb, wurde er mit mil­itärischen Ehren und mit Abschiedsworten des dama­li­gen Gen­er­alin­spek­teurs der Bun­deswehr, Admi­ral Armin Zim­mer­mann, beige­set­zt.

Zum Abschluss sei noch ein Satz aus einem Artikel des israelis­chen Mil­itärhis­torik­ers Oberst Prof. Jehu­da Wal­lach für das Jahrbuch des Insti­tuts für Deutsche Geschichte, Uni­ver­sität Tel Aviv, 4/1975, zitiert: „Wenn Feld­her­ren­tum über­haupt geteilt wer­den kann, dann war Manstein wahrschein­lich ein guter Fach­mann und Experte, aber zweifel­los war er ein klein­er Men­sch“.

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SPIEGEL 25/1973

„Erich von Manstein: Ver­nich­tungskrieg und Geschicht­spoli­tik, Fer­di­nand Schön­ingh Ver­lag, Seite 53